Wie hat sich der priesterliche Zölibat im Laufe der Geschichte entwickelt?[1]Dieser Frage gehen mehrere Veröffentlichungen nach, unter denen hier die von Alfons Maria Stickler und Stefan Heid: Alfons Maria Stickler: Der Klerikerzölibat. Seine Entwicklungsgeschichte und … Continue reading Oft liest und hört man das Missverständnis, dass der Zölibat erst im Mittelalter beim Zweiten Laterankonzil im Jahre 1139 eingeführt worden sein soll.[2]Vgl. Stickler, S. 34 Um es bereits vorwegzunehmen (die genaueren geschichtlichen Daten sind in einem gesonderten Artikel aufgeführt[3]Dieser Artikel kommt noch: Zeitstrahl mit der Geschichte des Zölibates. – hier geht es zunächst um den Zölibat der frühen Kirche im Allgemeinen): Der Zölibat wurde 1139 nicht eingeführt, sondern neu war allein die Erklärung der Ungültigkeit und nicht nur der Unerlaubtheit der scheinbar geschlossenen Kleriker-Ehen. Die Ehen waren also rechtlich gesehen nie gültig zustande gekommen.[4]Dieser Artikel kommt noch: Ein Erklärungsversuch, warum die Ehen laut Laterankonzil ungültig waren. Damit hatte die schriftliche Zölibatsgesetzgebung gewissermaßen einen Höhepunkt erreicht. Doch wie sah es davor aus?
Eine begriffliche Vorbemerkung: Recht oder Gesetz?
Woran erkennt man die frühen Zeugnisse des Zölibates? Gibt es auch eine Praxis, ein Recht ohne ein schriftliches Gesetz? Aus unserer heutigen Perspektive hat etwas meist nur rechtliche Gültigkeit, wenn es „schwarz auf weiß“ existiert, wenn es also schriftlich gefasst ist. Diese schriftliche Fassung des Rechtes in allgemeiner Form nennt man Gesetz. Das Recht wurde – und wird bis heute – aber auch in mündlicher oder gewohnheitsrechtlicher Form überliefert. In frühkirchlicher Zeit wurde Recht in der Regel nicht-schriftlich weitergegeben. Neben der Theologie (man erwartete bald die Wiederkunft Jesu Christi) waren auch eine fehlende Alphabetisierung und eine generelle nicht-schriftliche Kultur Gründe dafür.[5]Die Germanen bspw. kannten so mehrere hundert Jahre kein schriftliches Recht.
Manchmal wird eine Praxis bzw. ein Recht erst in der Geschichte sichtbar, wenn das Recht gebrochen wird.
Wenn also nach Indizien für eine Zölibatsgesetzgebung gesucht wird, muss diese Nicht-Schriftlichkeit beachtet werden. So wird in vielen Fällen ein seit vielen Jahren / Jahrhunderten bestehendes Recht und eine dementsprechende Praxis erst durch Rechtsbruch „aktenkundig“ und taucht in schriftlichen Zeugnissen auf.[6]Vgl. auch: Stickler, S. 13–15.
Der „Enthaltsamkeitszölibat“
Nun zum Zölibat der frühen Kirche. Die meisten Christen heirateten damals schon vor ihrer Taufe. Nach ihrer Taufe stellen sie sich die Frage, wie sie ihr Leben vor dem Hintergrund ihres Glaubens gestalten können. Erst Recht stellte sich diese Frage für die, die sich in die direkte Nachfolge Jesu Christi stellen wollten – also vor allem auch für die Kandidaten für den Klerus und die anderen Dienste der Kirche.
Bereits durch die biblischen Zeugnisse wurde den frühen Christen deutlich, dass für den Dienst für das Himmelreich und für die Nachfolge Jesu Christi allein die vollkommene Hingabe angemessen ist – die sich dann unter anderem in der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ausdrückt.
„Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn; er will dem Herrn gefallen. Der Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt; er will seiner Frau gefallen. So ist er geteilt.“
Korinther 7,32–35
„Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.“
Lukas 14,26
Lukas 18, 29–30
„Jesus antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Jeder, der um des Reiches Gottes willen Haus oder Frau, Brüder, Eltern oder Kinder verlassen hat, erhält dafür schon in dieser Zeit das Vielfache und in der kommenden Welt das ewige Leben.“
Hier ging es jedoch nicht um die Frage, ob man nie im Leben verheiratet war – die Mehrzahl der Ehen waren ohnehin meist im Jugendalter geschlossen, oft durch Verwandtschaft vermittelt und hatten mehr Zweck als Romantik[7]Diese Zweckorientierung der Ehe hin auf die Zeugung von Nachkommenschaft und den Schutz vor „Unzucht“ / „Abhilfe gegen Begehrlichkeit“ sieht man von der Antike über das Mittelalter (vgl. Martin … Continue reading –, sondern eher, ob die Ehe noch faktisch ausgeübt wurde – die Eheleute also das Bett teilten. Dabei ging es jedoch nicht einfach um sexuelle Enthaltsamkeit, um „kein Sex“, sondern um die Hingabe, die sich bis hinein in die äußeren Formen der Sexualität des Menschen ausdrückt.[8]Dieser Artikel kommt noch: Was bedeutet hier Sexualität?.
Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen – der Zölibat – beinhaltete demnach damals:
EnthaltsamkeitDie Ehe von Priestern wurde in eine Josefsehe umgewandelt.
- Nicht mehr zu heiraten
- Eine vorher geschlossene Ehe nicht mehr aktiv zu leben – also wie Bruder und Schwester zu leben (auch „Josefsehe“ genannt) und sein Leben ganz Gott und seiner Kirche zu widmen.[9]In diesem Sinne waren die Männern dann „viri probati“ (bewährte Männer). – Dieser Artikel kommt noch: Was sind „viri probati“ – verstoßen sie gegen das Liebesideal der Ehe?
Diese beiden Seiten sind – zum Teil etwas verkümmert – selbst heute noch bei den verheirateten ständigen Diakonen der römisch-katholischen Kirche und den verheirateten Priestern der östlichen Kirchen erkennbar. Beide dürfen im Normalfall selbst nach dem Tod der Ehefrau nicht mehr heiraten.[10]Ausnahmen sind bspw., wenn noch Kleinkinder vorhanden sind. Bei beiden müssen die Ehefrauen vorher ihre Zustimmung zur Weihe geben (can. 1031 §2 CIC), da die Praxis zwar nicht eine direkte Trennung – das wurde auch aufgrund der sozialen Verpflichtungen gegenüber der Ehefrau abgelehnt –, aber doch eine deutliche Umwandlung der Ehe vorsah. Die Ehefrau wurde nach wie vor sozial versorgt – meist trat sie in ein Frauenkloster oder eine entsprechende Gemeinschaft ein –, während der Mann sich dann der neuen Beziehung zur Kirche widmete.
Diese Form des Zölibates, bei der die frühere Ehe sozusagen „kalt gestellt“ und Platz für die „neue“ Beziehung zur Kirche gemacht wurde, wurde durch die Jahrhunderte praktiziert und immer wieder bestätigt und gegen alle Widerstände (man denke an die sich ändernde Praxis der Ostkirchen beim Trullanum II – dazu in einem gesonderten Artikel mehr.[11]Dieser Artikel kommt noch ) verteidigt.
Die Zölibatsgesetzgebung des Mittelalters als Weiterentwicklung und Schutz von Frau, Ehe und Liebe
Beim eingehenden Mittelalter veränderten sich einige Rahmenbedingungen. Zum einen war das Christentum bereits weit verbreitet und Christen wurden oft bereits im Kindesalter getauft. Zum anderen entwickelte sich auch das Ideal der christlichen Ehe, das neben den Rechten und Pflichten in einer Ehe auch die gegenseitige Liebe betonte, weiter. Die Kirche erkannte, dass die bisherige Praxis – die Ehe der Kleriker „umzuwandeln“ – vor allem gegenüber den Frauen und der sakramentalen Ehe in gewisser Weise ungerecht war bzw. nicht dem Liebes-Ideal entsprach.[12]Auch wenn die Frauen zur Weihe ihres Mannes ihre Zustimmung geben mussten, dürfte der Druck von Seiten der Gemeinden – die oft Männer von sich aus für das Priesteramt ansprachen – in Richtung … Continue reading Die frühmittelalterliche Gesetzgebung, nach der nur noch unverheiratete Männer als Kandidaten für den Klerus zugelassen werden, kann somit als Weiterentwicklung begriffen werden. Sie schützt die Frauen und die vorherige Beziehung mehr, als die vorhergehende Praxis. Diese war vom Liebesideal her gesehen für beide Partner des Mannes (Frau und Kirche) eher ein „fauler Kompromiss“ und war aufgrund der inzwischen ausreichend vorhandenen Anzahl nicht-verheirateter Kandidaten nicht mehr notwendig.
Fußnoten
↑1 | Dieser Frage gehen mehrere Veröffentlichungen nach, unter denen hier die von Alfons Maria Stickler und Stefan Heid: Alfons Maria Stickler: Der Klerikerzölibat. Seine Entwicklungsgeschichte und seine theologischen Grundlagen. Abensberg: Kral, 1993; Stefan Heid: Zölibat in der frühen Kirche. Die Anfänge einer Enthaltsamkeitspflicht für Kleriker in Ost und West. Paderborn u.a.: Ferdinand Schöningh, 2003. 3. korrigierte und erweiterte Auflage. https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00044432_00001.html . |
↑2 | Vgl. Stickler, S. 34 |
↑3 | Dieser Artikel kommt noch: Zeitstrahl mit der Geschichte des Zölibates. |
↑4 | Dieser Artikel kommt noch: Ein Erklärungsversuch, warum die Ehen laut Laterankonzil ungültig waren. |
↑5 | Die Germanen bspw. kannten so mehrere hundert Jahre kein schriftliches Recht. |
↑6 | Vgl. auch: Stickler, S. 13–15. |
↑7 | Diese Zweckorientierung der Ehe hin auf die Zeugung von Nachkommenschaft und den Schutz vor „Unzucht“ / „Abhilfe gegen Begehrlichkeit“ sieht man von der Antike über das Mittelalter (vgl. Martin Luther: Vom ehelichen Leben.) bis selbst noch in das kirchliche Gesetzbuch (CIC) von 1917 (vgl. can. 1013 § 1 CIC 1917. |
↑8 | Dieser Artikel kommt noch: Was bedeutet hier Sexualität?. |
↑9 | In diesem Sinne waren die Männern dann „viri probati“ (bewährte Männer). – Dieser Artikel kommt noch: Was sind „viri probati“ – verstoßen sie gegen das Liebesideal der Ehe? |
↑10 | Ausnahmen sind bspw., wenn noch Kleinkinder vorhanden sind. |
↑11 | Dieser Artikel kommt noch |
↑12 | Auch wenn die Frauen zur Weihe ihres Mannes ihre Zustimmung geben mussten, dürfte der Druck von Seiten der Gemeinden – die oft Männer von sich aus für das Priesteramt ansprachen – in Richtung einer positiven Entscheidung sehr groß gewesen sein. |